Lebensmittelverschwendung ist eines der grossen Umweltprobleme unserer Zeit, auch in der Schweiz. Silvan Bachmann, Stellvertretender Leiter Nachhaltigkeit bei Volg Konsumwaren, und Claudio Beretta, Vereinspräsident von foodwaste.ch, sprechen über Verantwortung, Lösungen und Herausforderungen.
In der Schweiz landen nach wie vor zu viele essbare Lebensmittel im Abfall. Wo liegt aus Ihrer Sicht das Hauptproblem?
Silvan Bachmann: Die gesamte Wertschöpfungskette ist sehr komplex, aber im Haushalt sehe ich vor allem zwei Ursachen: mangelnde Wertschätzung für Lebensmittel und Bequemlichkeit. Es ist einfacher, spontan und zu viel einzukaufen, als einen strukturierten Wochenplan zu erstellen. Man will flexibel bleiben – mal auswärts essen, mal nicht. Dann bleiben zu Hause Lebensmittel übrig.
Claudio Beretta: Natürlich gibt es oberflächliche Gründe: Ich habe zu viel eingekauft oder keine Idee, was ich mit den Resten machen soll. Doch das eigentliche Problem liegt tiefer: Wir leben in einem Überfluss, den wir uns dank unserer starken Kaufkraft leisten können. In der Schweiz sind die Regale immer voll, auch bei Ernteausfällen. Dann wird einfach importiert. Das ist aber nicht die Schuld einzelner Händler, sondern ein systemischer Zwang. Wer nicht mitzieht, verliert. Die Konsumentin oder der Konsument sieht dadurch nur Überfluss und verhält sich entsprechend. Weltweit aber nimmt die Ernährungssicherheit ab.
Wo sehen Sie im Detailhandel die grössten Hebel, um Food Waste zu reduzieren?
Silvan Bachmann: Primär achten wir bei Volg darauf, nur so viele Lebensmittel zu bestellen, wie wirklich gebraucht werden. Das ist nicht ganz einfach, weil das Einkaufsverhalten der Kundschaft nicht immer vorhersehbar ist – zum Beispiel, wenn das Wetter plötzlich umschlägt. Deshalb suchen wir zusätzlich auch Lösungen für Produkte, die übrig bleiben.
Claudio Beretta: Der wichtigste Punkt ist: Es gibt nicht «den einen» Akteur, der Food Waste verursacht. Es ist das Zusammenspiel vieler kleiner Faktoren entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Deshalb ist jede Massnahme wichtig, auch wenn sie klein erscheint. Ein Beispiel: Wenn ein Bauer krumme Rüebli aussortiert, macht er das nicht freiwillig, sondern weil der Handel sowie die Konsumentinnen und Konsumenten es erwarten.
Welche konkreten Massnahmen hat Volg umgesetzt?
Silvan Bachmann: Wir schulen unsere Mitarbeitenden im Verkauf, damit bei Bestellungen möglichst alle Erfahrungswerte miteinfliessen. In den Läden der Volg Detailhandels AG werden seit Anfang 2024 Daten gesammelt, wie nicht mehr verkäufliche Lebensmittel verwertet werden – zum Beispiel, ob sie gemeinnützigen Organisationen gespendet, als Tierfutter verwendet oder kompostiert werden. Seit 2021 arbeiten wir mit dem Unternehmen «Too Good To Go» zusammen. Seit Mai 2025 haben wir mit der «Immerno guet!»-Tasche eine eigene, ergänzende Lösung, welche auf die Rettung von Brot und Backwaren vom Vorabend, Früchten und Gemüse fokussiert.
Zeigen die bisherigen Massnahmen bereits Wirkung?
Silvan Bachmann: Bei Volg verzeichnen wir in den letzten drei Jahren sinkende Lebensmittelverluste bei steigendem Umsatz. Das heisst, die Reduktion geschieht nicht durch geringeren Verkauf. Mit «Too Good To Go» retten wir jährlich rund 160 Tonnen Lebensmittel. Die «Immerno guet!»-Tasche könnte in Zukunft ähnliche Mengen erreichen.
Welche Irrtümer führen besonders oft zu Verschwendung?
Claudio Beretta: Ein grosser Irrtum ist die Verwechslung von Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) mit dem Verbrauchsdatum. Viele werfen Produkte direkt am MHD weg, ohne zu prüfen, ob sie noch gut sind. Dabei ist ein Fünftel des Food Waste in den Haushalten genau darauf zurückzuführen. Zweiter Mythos: Nur makellose Früchte und Gemüse seien gut. Viele würden im Gespräch sagen, optische Mängel seien ihnen egal – das Einkaufsverhalten zeigt aber etwas anderes. Dabei sind Vielfalt und Imperfektion eigentlich ein Zeichen für Natürlichkeit. Dritter Punkt: Viele unterschätzen den eigenen Beitrag. Man denkt, Food Waste passiert nur bei den anderen. Erst wenn man sich selbst gezielt beobachtet, merkt man: Ich werfe mehr weg, als ich angenommen habe.
Was müsste passieren, damit Food Waste in zehn Jahren kein grosses Thema mehr ist?
Silvan Bachmann: Zentral ist, dass Lebensmittel wieder den Stellenwert bekommen, den sie verdienen. Wir müssen bewusster planen, einkaufen, konsumieren.
Claudio Beretta: Es braucht eine innere Haltung, die uns alle verbindet. Wenn wir als Gesellschaft wieder mehr kollektives Denken entwickeln, können wir auch beim Thema Food Waste Grosses bewegen. Der Wandel beginnt im Kleinen – mit Gesprächen, mit Bewusstsein, mit Vertrauen.
Länger geniessen ohne Risiko
Hier finden Sie alles Wichtige zur Verwendung von Lebensmitteln über das Mindesthaltbarkeits- (MHD) und Verbrauchsdatum (VD) hinaus.