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Story 7 Minuten

Ein Weltacker in Bern

Der dritte Schweizer Weltacker ist ab heute beim INFORAMA Rütti in Zollikofen (BE) begehbar: Auf 2000 Quadratmetern wachsen die häufigsten 50 Ackerkulturen, die wir fürs Leben benötigen.

Wie viele Quadratmeter Ackerfläche benötigt ein Teller Spaghetti Bolognese? Wie wächst Baumwolle für Kleidung und weshalb sind Regenwürmer so wichtig? Diese und weitere Fragen beantwortet seit heute der «Weltacker Bern» beim INFORAMA Rütti in Zollikofen. Beim Weltacker handelt sich um eine 2000 Quadratmeter grosse Anbaufläche, die nach einer einfachen Rechnung jedem Menschen zusteht. Die fenaco unterstützt dieses Projekt.

Der neue Holzzaun beim INFORAMA Rütti in Zollikofen (BE) scheint unendlich lang zu sein. Soweit das Auge reicht, reiht sich Holzlatte an Holzlatte. Sie umranden den «Weltacker», der heute als dritter seiner Art in der Schweiz beim Berufsbildungs- und Kompetenzzentrum für Landwirtschaft des Kantons Bern, eröffnet worden ist. Der Weltacker ist 2000 Quadratmeter gross und entspricht der durchschnittlichen Anbaufläche, die ein Mensch zur Verfügung hat: Teilt man die globale Ackerfläche von 1,5 Milliarden Hektaren durch die 7,5 Milliarden Menschen, so ergibt dies ziemlich genau die 2000 Quadratmeter. Gemäss derselben Logik hat jeder Mensch zudem rund 4400 Quadratmeter Weideflächen und 5000 Quadratmeter Wald sowie 5500 Quadratmeter sonstige Flächen wie Binnengewässer, Siedlungen oder Autobahnen zur Verfügung.

Auf der 2000 Quadratmeter grossen Ackerfläche wachsen alle Zutaten, die wir zum Leben brauchen: Beispielsweise Weizen für Brot oder Spaghetti, Reis, Kartoffeln, Obst und Gemüse, Mais und Soja als Futterpflanzen für Tiere, Zuckerrüben für den Zucker im Kaffee, Tabak, Baumwolle, Sonnenblumen für Speiseöl oder nachwachsende Rohstoffe für die Industrie.

Der dritte Schweizer Weltacker
Der erste Weltacker ist 2013 in Berlin entstanden (siehe Infobox). Er ist das Vorbild für die Schweizer Weltäcker. Alle Weltäcker haben zum Ziel, den Besucherinnen und Besuchern das Ausmass der globalen Landwirtschaft zu veranschaulichen und ihnen die Auswirkungen des menschlichen Verhaltens auf die Biodiversität und das Klima zu erklären. Besucherinnen und Besucher erfahren, welche Ackerkulturen es gibt, wie viel Arbeit und Pflege diese benötigen und wo die Ernte schliesslich landet: zuhause, im Supermarkt oder im Abfall. «Der Weltacker ist greifbar. Vor Ort wird einem bewusst, wie gross 2000 Quadratmeter überhaupt sind. Hier erfährt die Bevölkerung mit eigenen Augen und Händen, welche Pflanzen wie wachsen. Alles Wissenswerte rund um den Ackerbau wird vermittelt», freut sich Heinz Mollet, Leiter Division Agrar bei der fenaco. Die fenaco hat gemeinsam mit IP-Suisse, der Schweizerischen Vereinigung integriert produzierender Bauern und Bäuerinnen mit dem Käfer Gütesiegel, den rund 500 Meter langen Zaun für den dritten Schweizer Weltacker gesponsert. Dazu hat IP-Suisse in den LANDI Läden von Zollikofen und Umgebung die Palisadenzäune zusammengekauft und eigenhändig in den Boden gerammt. «Sechs Mitbegründer von IP-Suisse, alles Herren kurz vor Pensionsalter, haben tatkräftig mitangepackt. Es hat sich gelohnt, für eine gute Sache Schweisstropfen zu vergiessen», schmunzelt Daniel Nicklaus, IP-Suisse-Mitbegründer.

Im Gegensatz zu den beiden ersten Schweizer Weltäcker in Nuglar (SO) und Attiswil (BE), die sich in ländlichen Gebieten befinden, liegt der jüngste Schweizer Weltacker ausserhalb von Bern nahe an der städtischen Bevölkerung. «Der Berner Weltacker bringt durch seine Lage die ländlichen Themen insbesondere Städterinnen und Städtern näher. Auf den Feldern und in den Gärten dieser Welt wächst eine unglaubliche Vielfalt an Nutzpflanzen, von denen wenige wirklich bekannt sind», freut sich Hans Reinhard, der als Vorstandsmitglied des Berner Weltackers für das Ressort Ackerbewirtschaftung zuständig ist. Besucherinnen und Besucher sollen den Weltacker regelrecht unter die Lupe nehmen und die verschiedenen Komponenten der Lebensmittelproduktion dank Ackerführungen und Thementafeln kennen lernen. Und zwar von den Grundlagen des Landbaus und der Bodenkunde, über das Saatgut und die Bestäubung, bis hin zur Ernte und zum Kompost. Sie sollen auch einmal sehen, wie der Reis geerntet wird, oder dabei sein, wie aus Weizen Brot entsteht.

Die häufigsten 50 Ackerkulturen
Merkmal des Weltacker Bern ist, dass dort die 50 häufigsten Kulturen angebaut werden. Und zwar in dem Grössenverhältnis, in dem sie weltweit auf 1,5 Milliarden Hektaren gedeihen. «Dank diesen Kulturen erhalten wir das Notwendige für unser Leben: 44,4 Prozent des Angebauten kommt bei uns auf den Teller, 37,8 Prozent in den Futtertrog der Tiere und 17,8 Prozent dient der Produktion von Energie, Kleidung oder weiteren Bedarfsgegenständen», rechnet Hans Reinhard vor. Bemerkenswert: Auf der Hälfte des Weltackers wachsen lediglich vier Pflanzenarten: Weizen, Mais, Reis und Sojabohnen. Bis auf den Reis werden die grossen Monokulturen der Welt nur zum kleineren Teil direkt als Lebensmittel verarbeitet. Der grössere Teil wird an Tiere verfüttert oder in Sprit, Energie und Industrierohstoffe umgewandelt. Obst und Gemüse wachsen auf weniger als jeweils fünf Prozent des Weltackers.

Die Pflänzchen auf dem Berner Weltacker sind noch jung, wirken auf dem 2000 Quadratmeter grossen Feld – einer Fläche so gross wie der Berner Bundesplatz oder wie ein Drittel eines Fussballfeldes – etwas verloren. Die ersten Saaten von Getreide, Bohnen, Erbsen oder Sommerraps sowie Kartoffeln sind Ende März in den Boden gekommen. Wiesenflächen dienen als natürlicher Unterbruch zwischen den Kulturen. Gemäss den Regeln der europäischen Weltacker-Organisation wird nach biologischen oder agrarökologischen Prinzipien angebaut. «Ein Drittel unseres Weltackers ist nun bereits bepflanzt. Heute ist der letzte Tag der Eisheiligen und so können wir in den kommenden Tagen auch kälteempfindliche Kulturen wie Reis und Mais setzen», erklärt Hans Reinhard. Doch das Schweizer Klima ist nicht für alle Pflanzen geeignet, Zuckerrohr beispielsweise würde über das ganze Jahr hindurch rund 20 Grad benötigen, weshalb die Ackerverantwortlichen in Bern die Ersatzkultur Zuckerhirse pflanzen werden. «Auch die Bananenstauden und die Cashew-Bäume würden bei uns keine Früchte tragen. Baumwollbäumchen, Erdnusspflanzen und einen Kaffeestrauch haben wir gepflanzt – sie sind noch im Treibhaus. Ich bin gespannt, ob die Früchte bei uns ausreifen», erzählt Hans Reinhard. Die Herausforderungen der Ackerverantwortlichen beim Anbau der Kulturen macht den Besucherinnen und Besuchern bewusst, in welchen Klimazonen sich ihre persönlichen 2000 Quadratmeter befinden: zuhause in der Schweiz oder eher in einem fernen Land. Je nachdem, ob Kaffee und Bananen oder Milch und ein Stück Brot zum Frühstück gehören.

1,9 Quadratmeter für Spaghetti Bolognese
Zudem können Interessierte mit Hilfe eines Rechners und eines «Flächen-Buffets» der Frage nachgehen, welchen Flächenanteil des Weltackers sie für ein Essen benötigen. Das Zmorgemüesli mit Haferflocken und Früchten beispielsweise wächst auf 0,8 Quadratmeter Ackerfläche. Spaghetti Bolognese hingegen benötigt bereits 1,9 Quadratmeter, das Schnitzel mit Bratkartoffeln 2,65 Quadratmeter. Tierische Lebensmittel wie Fleisch, Eier und Milch benötigen also mehr Ackerfläche als pflanzliche. Denn viele Tiere ernähren sich nicht oder nicht nur von Weidegras und benötigen ebenfalls Futter aus Getreide, Mais und Soja.

Weil die Anzahl Menschen laufend zunimmt, die Erde jedoch gleich gross bleibt, stellt sich die Frage, wie sich die Weltbevölkerung in Zukunft nachhaltig und gesund ernähren kann. Auf der ganzen Welt verschwinden Ackerflächen, dafür entstehen an anderen Orten neue, beispielsweise anstelle von Wiesen oder durch Abholzung. Das Verhalten der Menschen, die Art der Bewirtschaftung, die Besiedelung oder Klimawandel beeinflussen den Bestand von Ackerflächen. Wenn sich die Grösse der Ackerfläche bis ins Jahr 2050, in dem wir über neun Milliarden Menschen zählen werden, insgesamt gleichgross bleibt, so ergibt sich pro Mensch noch 1500 Quadratmeter Ackerboden. Bei einem Spaziergang über den Weltacker erfährt man, dass diese Fläche immer noch ausreicht, um einen Menschen ein Jahr lang zu ernähren. Gewohnheiten und Vorlieben müssten sich jedoch ändern.

Unterstützung von 20 Billiarden Kleinstlebewesen
All die Pflanzen gedeihen nur, wenn der Boden gesund und fruchtbar ist. Ein Boden- und Wurzelfenster erlaubt es, Blicke ins Innere des Weltackers zu werfen. Ungefähr 20 Billiarden Organismen leben auf dem 2000 Quadratmeter grossen Acker: Billionen von Mikroorganismen, Milliarden Pilze, Algen, Einzellern, Millionen von Faden- und Borstenwürmern, Springschwänze, Milben, Tausende von Tausendfüsslern und Käfer, zigtausend Ameisen, Asseln und Spinnen bearbeiten den Boden und fördern so dessen Qualität. Von diesen Kleinstlebewesen ernähren sich Maulwürfe, Mäuse und Vögel. Auch ein Bienenvolk ist vor Ort und bestäubt die Blüten, auf die sich Hummeln und Schmetterlinge gesellen. Die fleissigsten Helfer im Weltacker sind die Regenwürmer: Sie wenden und belüften die Erde. Und ihre Ausscheidungen sind echte Schätze für die Böden. Sie sind doppelt so reich an Mineralien wie die Erde und daher ein natürlicher, einsatzfähiger Dünger. Beim Weltacker Bern soll gar eine Zucht für Regenwürmer der Art «Eisenia fetida» entstehen. Diese sind dann fürs Kompostieren verantwortlich. Kleine Wesen ermöglichen also ganz Grosses: Dank ihnen funktioniert die globale Landwirtschaft.

 

Eröffnung Weltacker Bern
Samstag, 15. Mai 2021, 11.00 bis 17.00 Uhr beim INFORAMA Rütti in Zollikofen (BE)
Weltacker gibt es in der Schweiz seit 2017: Der erste befindet sich in Nuglar (SO), der zweite in Attiswil (BE). Diese sowie der neue Weltacker Bern sind nach dem Vorbild von jenem in Berlin entstanden, wo im Jahr 2013 der Weltacker erstmals auf Grundlage des Weltagrarberichts 2008 angelegt worden ist. Die Kernbotschaft dieses Berichts lautet vereinfacht formuliert: Unsere Böden bringen genug für alle Menschen hervor, wenn wir respektvoll mit der Natur umgehen und bewusst konsumieren. Initiantin des Weltackers Bern ist die Ökonomische Gemeinnützige Gesellschaft Bern. Das INFORAMA und die Berner Fachhochschule BFH, Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften, sind enge Kooperationspartner und im Vorstand des Vereins vertreten. Verantwortliche für Acker, Bildung und Kommunikation sind für die Umsetzung des Bildungsprojektes Weltacker Bern zuständig. Der Weltacker Bern ist dem Dachverein Weltacker Schweiz angeschlossen.

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