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Diversifizieren oder spezialisieren

Welche wirtschaftliche Ausrichtung eignet sich für Landwirtschaftsbetriebe? Agronomin Leana Waber und ETH-Professor für Agrarökonomie und Agrarpolitik Robert Finger im Gespräch.

Wo macht Diversifizierung, wo Spezialisierung Sinn? Die Agronomin Leana Waber und der ETH-Professor für Agrarökonomie und Agrarpolitik Robert Finger diskutieren über verschiedene Ausrichtungen von Landwirtschaftsbetrieben.

Welche Faktoren sind ausschlaggebend dafür, ob sich Landwirtschaftsbetriebe eher diversifizieren oder spezialisieren sollten?

Leana Waber: Zentral für die Betriebsausrichtung sind sicherlich die Fähigkeiten, Philosophie und die Ziele der Betriebsleiterinnen und -leiter. Zudem geben die strukturellen Bedingungen eines Betriebs und die Gegebenheiten einer Region oft bereits einen Rahmen vor. 
Robert Finger: Der Entscheid für eine Richtung hängt auch davon ab, in ­welchen Bereichen ein Betrieb am rentabelsten geführt werden kann. Tendenziell lassen sich mit starker Spezialisierung Kosten senken. Dagegen ist man bei Diversifizierung nicht nur von einem Markt abhängig und kann Erträge durch weitere Einkommenszweige generieren.

Gibt es weitere wirtschaftliche Unterschiede zwischen den Betriebsausrichtungen?

Leana Waber: Mit der Spezialisierung geht oft eine einseitige Arbeitsbelastung einher. Im Kartoffelanbau beispielsweise erleben wir im Frühling beim Einpflanzen und im Herbst bei der Ernte Arbeitsspitzen. Für einen Familienbetrieb kann das belastend sein. Bei der Diversifizierung wiederum sind zwar die Einnahmen breiter abgestützt, dafür hat man nicht selten höhere Kosten für die breitere Infrastruktur.
Robert Finger: Spannend wird es, die Auswirkungen auch auf das Zusammenspiel mehrerer Betriebe oder auf eine ganze Region zu untersuchen: Ein Betrieb kann zum Beispiel als Lohn­unternehmen die Spitzen eines anderen Betriebs brechen. Oder eine Region wird durch die Kombination von Agrotourismusangeboten für Ausflügler interessant. 

Und was lässt sich aus ökologischer Sicht sagen?

Leana Waber: Spezialisierung erfolgt in meinen Augen in der Schweiz ganz klar nicht auf Kosten der Biodiversität, wie oft behauptet wird. In der Schweiz haben wir den grossen Vorteil, dass die Betriebe von Bauernfamilien geführt werden. Die Förderung von Kleinstrukturen beginnt so schon oft in den Gärten und macht vor den Ackerflächen nicht halt. 
Auch wir Bauernfamilien haben ein Interesse daran, die Biodiversität zu fördern. Zudem ist es aus ökologischer Sicht oft sinnvoller, die Kreisläufe regional zu schliessen anstatt pro Betrieb.
Robert Finger: Genau, die Ergänzung und Diversität in einer Region ist wichtig. Wenn alle Bäuerinnen und Bauern derselben Region genau das Gleiche produzieren würden, wäre das ökologisch und ökonomisch nicht sinnvoll. 

Robert Finger, Professor für Agronomie und Agrarpolitik, ETH Zürich
« Dank der Digitalisierung können Landwirtinnen und Landwirte auch über die Landesgrenze hinweg voneinander lernen. »

Wie können Bildung und Beratung den Entscheid für eine Betriebsausrichtung beeinflussen?

Leana Waber: Es gibt viele hilfreiche Quellen. Wertvoll sind Forschungsarbeiten, die Institutionen wie AGRIDEA, Agroscope oder die HAFL direkt auf dem Feld durchführen. Die Wissensvermittlung innerhalb eines Betriebs selbst, insbesondere von Generation zu Generation, ist sehr wichtig. Und auch die gute Vernetzung in der ganzen Schweiz fördert den Wissensaustausch enorm. 
Robert Finger: Die Landwirtschaft ist in Bewegung. Die Stärkung des Direktverkaufs dank Corona, der Einsatz von erneuerbaren Energien und der Anbau neuer Kulturen als Geschäftszweig unterstreicht diese Tendenz. Aus diesem Grund sollte der Wissens­transfer noch breiter werden. Das heisst, ein Milchviehbetrieb braucht nicht nur Tipps aus dem Kreis seiner Kolleginnen und Kollegen, sondern zum Beispiel auch von Landwirtinnen und Landwirten, die Erfahrungen mit Proteinpflanzen gemacht haben.

Inwiefern können neue Technologien und Innovationen unterstützen?

Leana Waber: Es gibt laufend neue Lösungsansätze, beispielsweise im Bereich des Pflanzenschutzes, die aber in der Praxis oft zu Beginn noch sehr kostenintensiv sind. Mit einer überbetrieblichen Zusammenarbeit kann eher in kostspielige Innovationen investiert werden. Voraussetzung dafür ist aber eine gute Zusammenarbeit. 
Robert Finger: Die Digitalisierung bringt Schwung auch in die Wissensvermittlung: Beratung und Austausch finden vermehrt über Youtube-Videos und über soziale Medien statt. Dank dieser Möglichkeiten können Landwirtinnen und Landwirte auch über die Landesgrenze hinweg voneinander lernen.
 

Leana Waber, Agronomin, Betriebsleiterin des elterlichen Mischbetriebs in Kiesen (BE), Vizepräsidentin der Junglandwirtekommission
« Eine Mischform ist langfristig eine gute Lösung. »

Was ist Ihr Fazit?

Robert Finger: Ein Betrieb muss rentieren. Es kann strategisch eine gute Überlegung sein, sich zu diversifizieren, um für künftige Veränderungen gewappnet zu sein. Man spricht dann von Resilienz. Das heisst, ein landwirtschaftlicher Betrieb wird anpassungsfähiger und ist damit stabiler. Interessant ist auch, dass immer wieder neue Geschäftszweige hinzukommen. Die Frage, was ein landwirtschaftlicher Betrieb ist, wird laufend komplexer. Die Betriebe selbst, aber auch die Politik ist gefordert.
Leana Waber: Eine Mischform ist aus meiner Sicht langfristig sicher eine 
gute Lösung, gerade um Krisen und Phasen grosser Unsicherheit zu überstehen. Zudem kann besser auf die laufend steigenden Anforderungen aus Gesellschaft und Politik reagiert werden. Generell wünsche ich mir insbesondere auch für junge Landwirtinnen und Landwirte, dass Forderungen sowie Gesetze und Verordnungen länger Bestand haben und dass sich diese in Zukunft wieder vermehrt auf übergeordnete Rahmenbedingungen beschränken. Dann kann ein Betrieb agiler, innovativer und erfolgreicher wirtschaften.

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